1. Mai 2025: Nix Klassenkampf - dafür WTF?
- Steffen Quasebarth
- 1. Mai
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 1. Mai
Während der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) am diesjährigen „Tag der Arbeit“ unter dem Motto „Mach dich stark“durch die Städte marschiert, herrscht eine seltsame Ruhe in seinen Reihen. Mit Ruhe meine ich den Mangel an Protest, an Erstaunen, an ABLEHNUNG. Und ich frage mich: Wo bleibt die Empörung über neue Waffenlieferungen? Wo bleiben die Buh-Rufe gegen die Milliarden für die Rüstungsindustrie? Wo bleiben die Streiks gegen eine Politik, die soziale Sicherungssysteme schleift, um sie durch Panzer zu ersetzen? Was ist los in diesem Land? Was ist los mit uns? Und was ist los mit dem DGB?
Im Fernsehen zeigen sie den Schulterschluss der Gewerkschaft mit der Regierung. Gemeinsame Auftritte mit Ministerpräsidenten. Entschuldigung - so war das mit dem „...wenn wir schreiten Seit’ an Seit’...“ aber nicht gemeint. Und was mir am meisten Angst macht: das stillschweigende Abnicken neuer Kriegskredite in Berlin – legitimiert von einem Gewerkschaftsbund, der einst als Schutzschild der arbeitenden Klasse gegen das Kapital gegründet wurde.*
Leute, Leute - was ist da nur los, in der obersten Etage?
Was ich da beobachten muß, ist kein Betriebsunfall. Es ist das Resultat eines jahrzehntelangen Entleerungsprozesses. Und ich rede hier nicht von Verdauung. Nein, was ich sagen will ist, dass der DGB schon lange nicht mehr als Korrektiv fungiert, sondern leider nur noch als als stabilisierendes Element des politischen Status quo. Die Parallelen sind dabei leider nicht zu übersehen.
Die Parallelen zum historischen Burgfrieden von 1914. Für alle, die nicht dabei waren: 1914 stimmten die SPD und die Gewerkschaften den Kriegskrediten im Reichstag zu – unter dem Vorwand nationaler Einheit. Das deutsche Kaiserreich konnte aufrüsten, dass es nur so krachte, einen Weltkrieg vom Zaun brechen, der wiederum dem Kapital die Taschen füllte und die deutschen Arbeiter in eine beispiellose Massenschlacht schickte.
Rosa Luxemburg nannte diesen Schritt „den Bankrott der Arbeiterbewegung“. Und sie hatte recht: Der Preis des Burgfriedens war nicht nur Blut. Es war die Aufgabe politischer Eigenständigkeit – der Übergang vom Klassenbewußtsein zur Komplizenschaft mit der Macht.
Heute, 2025, erleben wir eine ähnliche Wende. Die Gewerkschaften unterstützen die Abkehr von der Schuldenbremse. Dieser Punkt an sich - geschenkt, würden sie Investitionen in Kindergärten, Pflege oder Bildung fordern, statt in eine „Kriegstüchtigkeit“, die Panzer an die sogenannte NATO-„Ostflanke“ schickt und neue Hyperschallraketen auf deutschem Boden stationieren lässt. Und wieder einmal geschieht das im Namen der „Verantwortung“. Tataaa! Es gab mal Zeiten, sogar in der Bundesrepublik, da wäre solch' gewerkschaftliches Irrlichtern ein Skandal gewesen.
Aber heute kräht kein Hahn danach.
Stattdessen spricht der DGB inzwischen von „Zeitenwende“. Haben wir das nicht zuletzt vom Bundeskanzler gehört? So eine Zeitenwende ist eine große Sache und ganz billig ist sie auch nicht. Die Zeitenwende von Kanzler Olaf Scholz kostete uns 100 Mrd. Euro. Oh, Verzeihung! KOSTET - denn auch unsere Kindeskinder werden daran ja noch zu zahlen haben. Aber das gute Geld soll ja für irgendwas gut sein, munkelt man. Aber wofür?
Nicht für die Beschäftigten im Pflegebereich, deren Kliniken geschlossen werden, während für Lazarette Milliarden bereitstehen. Nicht für die Millionen Geringverdiener, deren Reallöhne sinken, während Rüstungskonzerne Rekordgewinne verbuchen. Und ganz sicher nicht für die jungen Menschen, die heute Schulden für morgen machen, um Waffen von gestern zu bezahlen.
In den letzten Wochen wurde bekannt, dass führende Gewerkschaftsvertreter (etwa aus IG Metall und ver.di) gegen das 100-Milliarden-Aufrüstungspaket dann lieber doch nicht protestieren – obwohl gleichzeitig Sozialausgaben zur Disposition stehen. Hallo? Was ist da los? Die einstige Schutzmacht der Arbeiter macht sich zur Lobbystimme einer militarisierten Industriepolitik. Das hört man dort nicht gern. Und mit dort meine ich die Gewerkschafts-Zentralen. Und darüber wird ganz sicher nicht auf Demos gesprochen. Umso mehr macht es mir, der sich immer als großer Anhänger gewerkschaftlicher Organisation gesehen hat Sorgen.
Wo sind wir falsch abgebogen?
Und was hätte Marx dazu gesagt? Ja - der Marx! Wahrscheinlich wäre er nicht mal verwundert gewesen. Wahrscheinlich hätte Marx mit der Hand durch seinen mächtigen Bart gestrichen und gemurmelt: „Ich hab’s Euch ja gleich gesagt“. Denn Marx wusste, dass Organisationen, die sich vom Druck der Basis lösen, früher oder später selbst Teil der herrschenden Ordnung werden.
Was wir erleben, ist also kein Zufall. Es ist vielmehr ein Lehrstück darüber, wie Gewerkschaften zu staatlich anerkannten Verwaltern von Zumutungen werden, wenn sie den Klassenwiderspruch leugnen. Man redet von „Standort“, von „Wettbewerbsfähigkeit“, von „Transformation“ – aber nicht mehr von Ausbeutung. Nicht mehr von Klassenkampf. Und genau darin liegt das Problem. Wen das Kapital heute zum Schweigen bringen will, den lässt es nicht einsperren. Gott bewahre!
Den scheißt es einfach mit Geld zu.
Der 1. Mai war nie als Folkloreveranstaltung gedacht. Er war ein Kampftag. Ein Tag der Arbeitsverweigerung. Ein Tag, an dem Millionen Menschen demonstrierten, dass sie keine Rädchen in einer Maschine sind, die sie selbst zermahlt.
Dieser Geist fehlt heute. Der 1. Mai ist zur Bühne für Politiker geworden, die sich mit Gewerkschaftern zeigen, um sich soziale Glaubwürdigkeit zu leihen. Dabei sind viele dieser Funktionäre längst keine Repräsentanten der arbeitenden Klasse mehr – sondern Manager des Burgfriedens.
Wenn Gewerkschaften ernst genommen werden wollen, müssen sie sich wieder dorthin bewegen, wo der Druck entsteht: auf die Seite derer, die nichts anderes verkaufen können als ihre Arbeitskraft. Und die am meisten verlieren, wenn Krieg, Inflation und Sozialabbau Hand in Hand marschieren. Und daran hat sich nichts geändert, auch wenn viel heute beim marschieren durch die Straßen häufiger einen Kaffee-to-Go tragen, als eine Fahne oder Transparent.
Ich möchte glauben! Ich möchte daran glauben, dass der DGB oder seine Mitgliedsgewerkschaften die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter vertreten. Denn - ich wiederhole ich - ich bin ein Anhänger, wie auch Unterstützer gewerkschaftlicher Organisation. Wir brauchen Gewerkschaften. Heute mehr denn je! Doch auch ich stelle mir Fragen. Fragen wie: Wurden in letzter Zeit eher Löhne durchgesetzt – oder eher Kürzungen hingenommen? Wurden Streiks organisiert – oder Mahnwachen? Welche Gewerkschaft hat Rheinmetall zuletzt vorgeschlagen, statt Panzer doch einfach mal Eisenbahnwaggons zu produzieren?
Es ist an der Zeit, den 1. Mai wieder zu dem zu machen, was er war: Ein Tag der Verweigerung. Nicht der Versöhnung.
Ein Tag für alle, die nicht vergessen haben, dass sozialer Friede nur eine andere Bezeichnung für kontrollierten Unfrieden ist .
*(Ich denke spätestens an dieser Stelle ist auch dem letzten Leser aufgefallen, dass der Autor in der DDR sozialisiert wurde. Und das ist gut so. Denn wir Ossis wissen noch, was Marx mit Klassenkampf gemeint hat.)

Leider gibt es in Thüringen keine Opposition und nur eine CDU-SPD-BSW-Einheitspartei - und die Vertreter dieser Einheitspartei sind natürlich auch ganz vorne bei den Gewerkschaften mit dabei. Wie in der Sowjetunion - nur halt mit Turbo-Kapitalismus…
Der Thüringer Koalitionsvertrag zeigt, dass die Regierungsparteien wenig am sozialen Frieden interessiert sind .
Auf dem Erfurter Anger waren zum
Mai viele Akteure zu sehen, die sich gegen soziale Spaltung und Rüstung ausgesprochen haben. Vom BSW war keine Spur… und die CDU hatte einen Alibi-Stand…
Eisenbahnwaggons produzieren?
Hersteller schließen ihre Fabriken (Görlitz).
Die Güterbahn entlässt Mitarbeiter.