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Männer-Falle


Neulich habe ich den Song "Kleine Seen" von Purple Schulz im Radio gehört. Mein erster Gedanke war: "So ein typisches 80er Jahre Softie-Lied". Kaum gedacht, schon bereut. "Kleine Seen" ist ein kleiner, einfach gestrickter Pop-Song mit einer wunderbar melancholischen Note, in dem der Ich-Erzähler eine zweite Person einlädt, seine Welt, in der Gefühle gezeigt werden dürfen, zu betreten. Wörtlich heißt es im Refrain:



Steffen Quasebarth hört "Kleine Seen"von Purple Schulz

"Sie sind dir - meine Tränen, alles was ich hab Kleine Seen...spring doch rein!Du wirst sehen- das Wasser ist nicht tief.Du kannst drin stehen."


Was ist daran falsch? Gar nichts. Meine Stimmung und der Song passten in diesem bestimmten Augenblick nur einfach nicht zusammen.


Ich hab schon kurz darauf bereut, was ich einem Kollegen über den Song gesagt habe. Weil ich gemerkt habe, dass ich mir selbt damit keinen Gefallen tue. Dass ich mir selbst damit ein Bein stelle. Dass ich damit in die gleiche Falle laufe, wie Dutzenden Männer vor mir. Eine Falle, die bereits in unserer Kindheit aufgestellt worden war, und die sich nur sehr langsam schließt. Aber wenn wir nicht aufpassen, ist sie eines Tages ganz und gar geschlossen und wir sitzen mitten drin.


Die Falle wird in früher Kindheit aufgestellt. Von wohlmeinenden Angehörigen, meist sogar den eigenen Müttern oder Vätern, nicht selten aber auch durch Onkel, Tanten, Erzieherinnen und Lehrerinnen und auch Omas und Opas.


Der Name der Falle ist "Euch zu gefallen" und sie wird mit Ködern bestückt, die mit "groß" und "stark" und "klug" und "mächtig" beschrieben sind. Die Falle enthält auch Schlingen, Ösen und Haken und auch diese tragen kleine Schilder. Warnungen, die dazu dienen, dass wir kleinen Jungen uns in ihnen nicht verfangen, sondern bis zum Ködern vordringen können, um ihn zu schlucken. Auf den Schildern stehen Glaubensätze wie "Ein Indianer kennt keinen Schmerz" oder "Jetzt hab dich mal nicht so" oder "Jungs weinen nicht" oder "Heul' nicht, davon wird's auch nicht besser". Wenn wir die Schilder beachten und den Köder schlucken, dann - so das Versprechen von Erzieherinnen und Lehrerinnen und Omas und Opas und Muttis und Vatis, dann werden wir groß und stark und hart und männlich.


Leider funktioniert das nur bedingt.


Die Softie-Bewegung der 80er Jahre hat das meines Erachtens nach erkannt und versucht dagegen anzugehen. Die neue Parola war: Weichheit darf sein. Männer dürfen weinen und Gefühle zeigen, sollen sogar Gefühle zeigen, um erkennbar, auch als Mensch wahrnehmbar zu sein.


Das war, so glaube ich heute noch, ein guter Schritt in die richtige Richtung. Die Bewegung, die durch Künstler, Sänger, Schauspieler, Dichter und Philosophen getragen wurde, hat dafür viel Prügel einstecken müssen. Vor allem aus dem eigenen Lager, dem der harten, coolen und starken Männer.

Wenn Du als 14jähriger in dieses Gemengelage gerätst, kommst Du schon einmal ins Grübeln. Welcher Weg ist mein Weg, fragst Du Dich. Wer willst Du sein. Der weiche Softie oder der harte Kerl.


Ich hatte damit nicht gemerkt, dass ich bereits mit der Frage direkt in die Männerfalle gelaufen war. Denn für einen echten Mann konnte es nur EINE Antwort geben. Und - bevor du jetzt aufschreist, lieber Leser - es ist egal, für welche Seite ich mich entschieden hätte - es wäre in JEDEM Fall, die falsche, weil wenig dienliche gewesen.


Denn die Frage lautet nicht, welche Haltung ist richtig und welche ist falsch. Darum geht es nicht. Darum ging es nie.


Die Frage lautet: Wie kann ich es schaffen, ein Mann zu werden, der das Beste aus beiden Welten in sich trägt, in sich zulässt, in sich annimmt und liebt. Das Beste aus beiden Welten und die Million Zwischenstufen, die es gibt. Denn das Leben ist niemals nur schwarz oder weiß.


Ich hatte mich damals in den 80ern übrigens für die harte, coole Seite entschieden. Die "Ein Indianer kennt keinen Schmerz"-Seite. Und es gibt Situationen, in denen mich diese Seite heute noch unterstützt. Es gibt aber auch Situationen, in denen mich die Härte, Kälte und Macht abtrennt, davon mein wahres Mann-sein zu fühlen. Denn Mann-sein heißt auch Vater sein, auch einfühlsamer Partner sein, auch wertschätzender Kollege sein, auch liebevoller und dankbarer Sohn sein, heißt auch voller Demut sein, gegenüber der Schönheit dieser Welt und es heißt auch ganz sicher, schwach sein zu dürfen, voller Gefühle, voller Bedürfnisse und voller Wünsche und Bitten.


Daran muss ich denken, wenn ich heute Väter und Großväter mit ihren Söhnen und Enkeln sehe, wenn ich Lehrerinnen und Erzieherinnen sehe, die alles daran setzen, aus den ihnen anvertrauten kleinen Jungen einmal Männer zu machen, die groß und stark werden. Natürlich sollen sie das werden. Groß und stark, mutig und voller Vertrauen, darin, dass es okay ist, Gefühle zu haben, traurig sein zu dürfen, schwach sein zu dürfen und weinen zu dürfen. Denn all das braucht ein Mann, um ganz und gar und vollständig zu sein. Meiner Meinung nach.


Wie denkst Du darüber, Du Leser? Ich bin neugierig und möchte gern von Deinen Erfahrungen mit dem Mann-sein lesen. Und ich interessiere mich ebenso auf Deine Sicht, liebe Leserin: Wie geht es Dir mit diesem Blog?

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