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Gedanken(k)reise zum Mysterium Empathie



Empathie - Was ist das eigentlich? Empathie - Wie geht das eigentlich? Mir scheint es ist ein Kostüm, in das ich - bei Bedarf - hineinschlüpfen kann. Doch wie sehe ich in diesem Kostüm eigentlich für mein Gegenüber aus? Und wie geht es mir darin? Ist es bequem oder kratzt es? Ist es wirklich passend für mich?


Ich habe viele Ideen davon, was Empathie nicht ist und mit welchen Strategien ich so ungeschickt in dieses Kostüm hineinschlüpfe, dass ich an allen Ecken und Enden rausblitze und mein Wolfskern dennoch zu erkennen ist: ich kann ganz hervorragend befehlen, anordnen, auffordern, warnen, mahnen, drohen, moralisieren, predigen, zureden, beraten, ungefragt Vorschläge machen, ich kann Lösungen liefern, belehren, Dich durch Logik überzeugen, ich kann Dir Vorhaltungen machen, urteilen, kritisieren, widersprechen, Dir Vorwürfe machen, Dich beschuldigen, beschämen, beschimpfen, Dich lächerlich machen, interpretieren, analysieren, diagnostizieren oder auch Dich loben, Dir zustimmen, Dir schmeicheln, Dich beruhigen, Sympathie äußern, Dich trösten, Dich bemitleiden, nachforschen, fragen, verhören, Dich ablenken, Dir ausweichen oder auch Dich aufheitern. Alles ganz wunderbar hilfreiche Strategien, mit denen ich Dich nicht annehme, Dich herabsetze, Dein Problem leugne, meinen eigenen Gedanken Raum gebe oder das Thema wechsle.


Und ja, ich kann mich darum bemühen, genau das alles nicht zu tun. Doch wer bin ich dann und was tue ich da eigentlich? In der Theorie ist mir das klar: ich gebe Deinen Gefühlen und Bedürfnissen Raum, hin und wieder fasse ich mal zusammen welche Gefühle und Bedürfnisse ich von Dir gehört habe, ich kann auch vermuten, welche Gefühle und Bedürfnisse darüber hinaus noch in Dir lebendig sind und hin und wieder kann ich Dein Gesagtes paraphrasieren und/oder die Stille gemeinsam halten und aushalten, um zu prüfen ob sich noch etwas in Dir zeigen mag.


Und ja, es scheint mir wenig diese mögliche Alternative an vermeintlicher empathischer Verbindung im Vergleich zu der bunten Vielfalt an lebensentfremdender Kommunikation und ja verdammt, ich fühle mich unsicher wenn ich in dieses Kostüm schlüpfe, um Dir Empathie zu geben. Bin ich nur ein Wolf im Giraffenkostüm weil es mir so wohlig vertraut ist, die Verbindungen zwischen Menschen zu blockieren und zu psychischer oder physischer Gewalt beizutragen? Oder versinke ich gerade in Selbstmitleid und Selbstzweifel? Ganz im Sinne von „Der Schuster hat die schlechtesten Schuhe“ und „Der Arzt ist der schlimmste Patient“, hol Dir also bloß nie Empathie von einem GFK-Trainer oder einer GFK-Trainerin. Die haben doch selbst alle Leichen im Keller. Sonst wären sie diesen Weg doch nie gegangen.


Und ja, verdammt, ich würde Dir so gern ganz herzoffen begegnen. Ich würde gern echte Offenheit und Neugierde in mir spüren wenn ich Dir und Deinen Erzählungen lausche, wenn ich Deinen Gefühlen und Bedürfnissen Raum gebe und Du mich, mein Sein, meine Haltung und meine Fähigkeiten wertschätzst weil Du mich als Gegenüber ausgewählt hast. Doch so sehr ich es auch bedaure, ich empfinde diese Herzoffenheit und diese tiefe Neugierde für Dich nicht. Nicht jetzt in diesem Moment und vielleicht habe ich sie nie wirklich gefühlt.


Denn während Du sprichst und ich Dir vermeintlich zuhöre, bin ich damit beschäftigt, mir zu befehlen, mir anzuordnen, mich aufzufordern, mich selbst zu warnen, zu mahnen, mir zu drohen, zu moralisieren, zu predigen, mir zuzureden, mich selbst zu beraten, mir Vorschläge zu machen, mir Lösungen zu liefern, mich zu belehren, mich durch Logik zu überzeugen, mir Vorhaltungen zu machen, mich zu verurteilen, zu kritisieren, mir zu widersprechen, mir Vorwürfe zu machen, mich zu beschuldigen, zu beschämen, zu beschimpfen, mich lächerlich zu machen, zu interpretieren, zu analysieren, zu diagnostizieren oder auch mich, meine Haltung und meine Fähigkeiten zu loben, mir zuzustimmen, mir zu schmeicheln, mich zu beruhigen, mir selbst Sympathie zu schenken, mich zu trösten, mich zu bemitleiden, nachzuforschen, zu fragen, zu verhören, mich abzulenken, mir auszuweichen oder mich aufzuheitern. Und das alles, dass alles mache ich so vermeintlich „nebenbei“ während ich vor Dir sitze, körperlich ganz zugewandt, mit freundlichem aber nicht zu aufdringlichem Augenkontakt. Wenn Du feuchte Augen bekommst, dann reiche ich Dir ein Taschentuch und vielleicht lege ich meine Hand auf Deine und berühre Dich sanft.


Am Ende gehst Du klarer und ein wenig entlastet aus dem Gespräch. Offenbar war die vermeintliche Theorie wie Empathie funktioniert hier mal wieder dienlich. Doch kaum bist Du für mich ausser Sichtweite, reiße ich mir wutentbrannt das Kostüm vom Leib. Ich schlage mit der geballten Faust auf den Tisch, dass es nur so kracht. Dann gehe ich ins Bad und wasche mein Gesicht mit eiskaltem Wasser, bis es brennt. Ich blicke auf und sehe in den Spiegel. Einen Wolf kann ich nicht erkennen - eine Giraffe allerdings auch nicht. Das Wesen, das mich anblickt, scheint sehr menschenähnlich. Ich stütze mich auf dem Waschbecken ab und meine Tränen beginnen zu laufen. So fühlt sich das also an? Das Mysterium Empathie?!? Oder ist da noch irgendwo ein Fehler im System?

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