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„Gewalt im Spiel“ ist mein Endgegner

Ich (Antje) sitze am Spielplatz, mehrere Kinder vielleicht so zwischen drei und sieben Jahre alt, spielen miteinander. Es wird wild getobt, laut geschrien, sich gegenseitig erschreckt, gerannt und es wird geschossen, es wird immer wieder geschossen. Es geht im Spiel um Monster, es geht um Zombies. Die Kinder zielen aufeinander, sie ahmen Geräusche von Bomben nach, von Explosionen, es ertönt das vermeintliche Feuer aus Maschinengewehren und es folgen Schmerzensschreie. Ein Kind erscheint mir dabei besonders wild, besonders laut und besonders begeistert: es ist mein Sohn.


Ich sitze am Rand des Spielplatzes, beobachte das Spiel und fühle mich ratlos, ohnmächtig, müde und traurig. Vor ein paar Minuten bin ich eingeschritten als mein Sohn ein anderes Kind mit den Füßen trat, der gerade auf einer Treppe stand. Als ich dazu kam, wurde das Verhalten gerechtfertigt damit, dass der kleine Junge ein Monster wäre und er sich gegen das Monster wehren müsste. Das andere Kind war noch nicht zu Schaden gekommen, doch so lange wollte ich nicht warten.


Nun sitze ich wieder hier und beobachte das (für mich) traurige Spiel und lasse es wirken. Mein Umgang mit der Situation ist alles andere als leicht und spielerisch. Derzeit ist „Gewalt im Spiel“ regelmäßig Thema für mich im Kontakt zu meinem Sohn: von ruhigen Erklärungen über den Krieg, über hoffentlich aufrüttelnde Appelle bis hin zu genervten Wutausbrüchen. Unzählige Male habe ich meinen Standpunkt zu den Themen Gewalt, Krieg und (vermeintlich unnötiges) Leid erklärt und ja, ich habe dies in der Absicht getan, ihn für meine Sichtweise zu gewinnen, sich mir anzuschließen und sich ebenfalls bewusst für Frieden und Empathie zu entscheiden.


Gelungen ist mir dies bisher offenbar nicht, im Gegenteil. In Momenten, in denen er sich über mich ärgert, zückt er genau diese „Waffe“. Wäre ich in diesen Momenten in der Haltung der Gewaltfreien Kommunikation, so würde ich vielleicht sehen können, dass dies seine offenbar sehr dienliche Strategie ist (vielleicht sogar eine Art Lieblingsstrategie), um mit mir (tiefer) in Kontakt zu treten und mir seine Not über die gerade hungernden Bedürfnisse noch klarer zu demonstrieren. Doch in diesen Momenten bin ich nicht in der Haltung der GFK sondern es fühlt sich an als würde jemand (vorsätzlich) Öl in genau die Flamme gießen, die ich gerade mit aller mir zur Verfügung stehenden Kraft löschen will.


Worum geht es mir dabei eigentlich? Selbstverständlich geht es mir um Frieden und es geht mir ehrlicherweise auch um meine Ruhe. Es geht mir um gemeinsame Werte und Verbindung, es geht um Loyalität.


Doch letztlich versuche ich, unter dem Deckmantel der GFK meinen Sohn zu beeinflussen. Und genau das ist eben nicht der Kern der Gewaltfreien Kommunikation, sondern es geht um ein Miteinander auf Augenhöhe, auch bei unterschiedlichen Interessen und Werten. Es geht um Verständnis und um Toleranz für unterschiedliche Sichtweisen. Es geht um Kooperation und Verantwortung, es geht darum, den andern in seinem Sein, sein zu lassen mit seinen Gefühlen und Bedürfnissen und sich gleichzeitig Raum zu verschaffen oder zu erhalten für die eigenen Befindlichkeiten und Prioritäten.


In der Praxis sehen meine Strategien bedauerlicherweise bisher folgendermaßen aus: Ich sitze am Rand des Spielplatzes und beobachte meinen Sohn, ich bin frustriert und verweigere das Mitspielen wie ein bockiges Kind. Wenn er Blickkontakt sucht, werfe ich ihm einen grimmigen Blick zu und, mache (häufig ohne Worte) deutlich, dass ich das Spiel nicht gut heiße. Ich halte aus, und irgendwann platzt mir sprichwörtlich der Kragen. Ich erkläre (meist, ohne Vorwarnung) das Spiel an dieser Stelle für beendet und verlasse mit meinem Sohn den Spielplatz. Während wir gehen, halte ich ihm eine Moralpredigt. Meine Rede lässt er über sich ergehen. Meist kommentiert er wenig, rechtfertigen tut er sich kaum. Dabei laufen wir schnellen Schrittes. Während meiner impulsiven Rede und in der Bewegung verliert mein Ärger für mich an Energie. Mein Schritttempo ist in diesen Momenten für meinen sechsjährigen Sohn meist viel zu schnell. Er flitzt also neben mir her, um an meiner Seite bleiben zu können. Wenn ich das Energielevel wieder halbwegs unter Kontrolle habe, machen wir irgendwo eine Pause setzen uns in ein Café, gehen etwas essen oder setzen uns auf die Bordsteinkante und besprechen in Ruhe wie der Tag nun weitergeht.


So läuft das nun sicher schon seit ein paar Monaten. Veränderungen sind für mich nicht erkennbar außer vielleicht, dass ich mich stetig ohnmächtiger und müder fühle, diesem Spiel etwas vermeintlich sinnvolles entgegen zu setzen. An meinem Verständnis und meiner Toleranz für die andere Sichtweise meines Sohnes hat sich ebenfalls nichts geändert. Ich bin nach wie vor stur wie ein Esel und wünsche mir nichts sehnlicher als dass diese Superhelden-/Kampf-Phase einfach so stillschweigend wieder aus unserem Leben verschwindet wie sie gekommen ist.


Ideen, wie es in Zukunft anders werden kann, habe ich viele. Ich möchte mir gern mehr Raum schaffen und Raum halten für meine Perspektiven, Klarheit schaffen für meinen Sohn, wo meine Werte liegen, ihn Gemeinschaft und Unterstützung erleben lassen in den Bereichen, die wir wirklich teilen und reinspüren wie viel Herzoffenheit wann da ist für seine Perspektiven. … Klingt (für mich) wunderbar und gleichzeitig ist mir bewusst, dass diese (frommen) Wünsche für mich im nächsten Ernstfall nicht greifbar sein werden.


Aus diesem Grund mag ich eine andere Bitte an mich selbst formulieren. Eine Bitte, jenseits rationaler Bemühungen auf der Basis, karmischer Überlegungen oder mystischer Mittel, die jeder Logik zu widersprechen scheinen. Für mich wird Frieden aus Frieden gemacht. Ich mag Frieden stiften, wo immer ich kann. Ich mag in Frieden kommen mit mir. Ich mag in Frieden kommen mit meinem Sohn. Ich mag in Frieden kommen mit der Welt. Und ja, genau das ist gerade ein Prozess, der mal mit mehr und mal mit weniger Anstrengung verbunden ist, der mal durch mehr Verbindung gestützt wird und mal durch weniger und manchmal haben wir als Team von außen mit starker Gegenwehr zu kämpfen und manchmal gibt es scheinbar nur uns beide, wir blicken einander an und mitunter richten wir die Waffen auf genau den Menschen, den wir am meisten lieben.



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