top of page

Wo steht "der Feind"?

  • Autorenbild: Steffen Quasebarth
    Steffen Quasebarth
  • 28. März
  • 3 Min. Lesezeit
Europa rüstet auf – aber natürlich nur zur Sicherheit.

„Es kommt der Lenz, der stille Freund der Schmerzen,

macht Blüten aus dem Frost und Duft aus Leid.“

– Mascha Kaléko


Es gibt Tage, da fragt man sich, ob George Orwell nicht einfach als Ghostwriter im Brüsseler Regierungsviertel sitzt.


Ein Sondergipfel zur Ukraine, 31 Staats- und Regierungschefs, NATO-Generalsekretär Mark Rutte mittendrin – und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron betont: „Jetzt ist nicht die Zeit, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben.“Erst müsse es Frieden geben.


Also: Keine Entspannung, solange es keinen Frieden gibt. Und keinen Frieden, solange es keine Entspannung gibt.


Eine diplomatische Möbiusschleife aus rostfreiem Edelstahl.

Dass die Verhandlungen zwischen den USA, Russland und der Ukraine begonnen haben – geschenkt. Macron begrüßt sie zwar pflichtschuldig, erklärt aber in derselben Atemluft, man müsse „die Ukraine in die bestmögliche Verhandlungsposition bringen“. Was das konkret heißt, wird kurz darauf klar: britisch-französische Truppen sollen in die Ukraine entsandt werden. Demnächst. Nicht an die Front, nein, nur in strategisch wichtige Gebiete. Nur vorbereitend. Nur zur Rückversicherung. Man verspricht, sie würden nicht schießen. Noch nicht.


Europa testet also schon mal die Bodenhaftung für den Fall, dass Frieden ausbricht.

Macron spricht von einer „Koalition der Willigen“. Der Begriff hat Geschichte. Man kennt ihn aus früheren Expeditionen mit robustem Mandat. Diesmal geht es nicht in den Irak, sondern näher: in ein Land, in dem bereits eine Atommacht Krieg führt. Man wolle – so heißt es – europäische Einsatzorte für nach einem Waffenstillstand identifizieren. Wer mitdenkt, erkennt die paradoxe Choreografie: Truppen werden entsendet, um den Frieden vorzubereiten – und verhindern ihn womöglich gerade dadurch.

Der französische Präsident betont, die Einheiten seien nicht Teil eines Kampfeinsatzes. Aber der militärische Fuß steht damit wieder auf dem ukrainischen Boden – und das unter der Flagge von EU-Mitgliedern und NATO-Schwergewichten. Mehr Rückversicherung geht kaum. Nur: gegen wen eigentlich?

Macron bleibt vage, aber die Kulisse ist eindeutig: Europa rüstet sich. Nicht nur mit Waffen, sondern auch rhetorisch. Der britische Premier Keir Starmer ist bereits im Boot. Ursula von der Leyen hat sich für den Offensivmodus entschieden: Die EU müsse sich in ein „stählernes Stachelschwein“ verwandeln. Europa, der panzergeschützte Igel. Unverdaulich soll es werden, sagt sie – für potenzielle Angreifer. Und weil Igel nicht verhandeln, sondern stacheln, müsse man nun „wirklich massiv aufrüsten“.

Massiv. Dringend. Dauerhaft. Das sind die Adjektive dieser neuen Sprache der Friedenspolitik.

Und wer sich fragt, was das alles mit Diplomatie zu tun hat – dem wird versichert: Die Bundeswehr soll ja gar nicht größer werden, sondern nur besser. Besser bewaffnet, besser vernetzt, besser platziert. Zum Beispiel in Litauen. Und irgendwann vielleicht auch ganz offiziell in der Ukraine. Wer dort nichts zu suchen hat, entscheidet künftig nicht mehr das Völkerrecht, sondern das Vertrauen in die eigene Sicherheitslogik.


Sicher ist nur, dass alles unter dem Banner der Verteidigung geschieht.

So wie alle guten Feldzüge. Man will ja nur abschrecken.

Und während in Europa neue Truppenbewegungen geplant werden, sollen die Bürger sich ebenfalls vorbereiten. Auf was, das wird ihnen nicht direkt gesagt – aber die Empfehlungen sprechen für sich. Notfallpakete. Vorräte für 72 Stunden. Batteriebetriebene Radios. Fluchtrouten. Für den Ernstfall, den niemand will, aber jeder erwartet.

Die zivile Gesellschaft wird zur Heimatfront, zur psychologischen Kampfzone, in der Sicherheit zum Lebensgefühl werden soll – durch ständige Alarmbereitschaft. Europa simuliert Not. Und wenn die Sirenen heulen, ist es nur eine Übung. Noch.


Währenddessen bleibt die Erzählung klar: Russland ist allein verantwortlich. Sanktionen bleiben, Gespräche bleiben halbgar. Ein Waffenstillstand? Vielleicht irgendwann. Aber nur zu unseren Bedingungen. Und solange diese Bedingungen nicht erfüllt sind, darf weiter geliefert, trainiert und stationiert werden.


Wovor hat Brüssel Angst? Dass Russland Europa überrollt? Eine Armee, die sich über 2 Jahre lang an der Ukraine abgearbeitet hat? Ernsthaft?

Macron sagt, man müsse verhindern, dass ein fauler Frieden entstehe. Klingt ehrenwert – bis man sich fragt, ob der Preis dafür nicht gerade der letzte Rest Verhandlungsmasse ist. Denn wenn bereits europäische Soldaten in Kiew stehen, wenn Militärhilfen im Milliardenwert fließen, wenn die diplomatische Bühne abgeräumt wird, bevor überhaupt ein Vertrag auf dem Tisch liegt – wer will dann noch Kompromisse machen?


Oder deutlicher gefragt:


Wo endet Verteidigung und wo beginnt Eskalation?

Wer profitiert von einem Krieg, der nicht entschieden, sondern nur verlängert wird?

Und was ist eigentlich mit denen, die fragen? Warum werden sie immer leiser?

Europa hat aus seiner Geschichte viel gelernt. Nur nicht, wann man aufhören sollte, die Waffen zu ölen.


Wir leben in einem Moment, in dem Aufrüstung als Verantwortung gilt, Verhandlungen als Schwäche und das Wort „Frieden“ wie ein Etikett wirkt, das man auf den Munitionskisten liest.


Denken ist nicht vorgesehen. Dafür gibt es ja genug Talkshows. Und bald vielleicht Helme für Schüler, Schulranzen in Tarnfarben.


Ja, der Feind steht nicht vor der Tür. Er sitzt längst am Schreibtisch. Und schreibt Reden über Frieden, während er bei Rheinmetall Panzer bestellt.

 
 
 

1 Comment

Rated 0 out of 5 stars.
No ratings yet

Add a rating
Guest
vor 4 Tagen
Rated 1 out of 5 stars.

Könnte so auch direkt aus dem Kreml kommen.


"Mehr Rückversicherung geht kaum. Nur: gegen wen eigentlich?"


Als ehemaliger Medien-Mann sollte Herrn Quasebarth doch aufgefallen sein, dass im Russischen Staatsfernsehen täglich die militärische Vernichtung Europas angedroht wird.


"irgendwann vielleicht auch ganz offiziell in der Ukraine. Wer dort nichts zu suchen hat, entscheidet künftig nicht mehr das Völkerrecht, sondern das Vertrauen in die eigene Sicherheitslogik"


Sagt das Völkerrecht denn, dass die souveräne Ukraine keine Truppen verbündete Staaten auf ihr eigenes Territorium einladen darf?


Mit den Nordkoreanern und Chinesen auf Seiten Russlands hat Herr Quasebarth ja offenbar auch kein Problem.


Edited
Like

© 2014 - 2025 quasebarth.de| Thüringen | Deutschland

bottom of page