Von Lissabon bis Wladiwostok
- Steffen Quasebarth

- 18. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Warum der Friede in Europa neu gedacht werden muss
Ein Satz, beiläufig hingeworfen, kann Geschichte schreiben – oder sie beenden. So wie es auch heute wieder geschieht: in Regierungserklärungen, Interviews oder hinter verschlossenen Türen. Worte sind nicht nur Worte. Sie schaffen Realitäten, legitimieren Handlungen, geben Richtung.
Im Regierungsvertrag für Thüringen 2024–2029 steht ein solcher Satz. Fast versteckt, in der Präambel:
„Die Verfassung des Freistaats Thüringens gebietet, den inneren wie äußeren Frieden zu fördern, die demokratische Rechtsordnung zu wahren und Trennendes in Europa und der Welt zu überwinden.“
Ein Satz wie ein Anker. Oder eine Mahnung.
Denn was so selbstverständlich klingt, ist es längst nicht mehr. In Europa herrscht wieder Krieg. Diplomatie wurde ersetzt durch Sanktionen, Entspannung durch Aufrüstung. Und während Waffen über Thüringer Straßen und Schienen gen Osten rollen, bleibt das Ziel – ein dauerhafter Frieden – erschreckend vage.
Dabei gab es ihn schon einmal, den politischen Mut, größer zu denken.
Nach dem Ende des Kalten Kriegs entstand eine Vision, getragen von Staatsmännern wie Helmut Kohl, François Mitterrand, Michail Gorbatschow oder Hans-Dietrich Genscher. Ihre Idee: Frieden in Europa kann nur gelingen, wenn er alle einschließt. Von Lissabon bis Wladiwostok.
Genscher formulierte es am 2. Februar 1990 in Washington, gemeinsam mit dem US-Außenminister James Baker:
„Wir waren uns einig, dass nicht die Absicht besteht, das NATO-Verteidigungsgebiet auszudehnen nach Osten. Das gilt nicht nur für die DDR, sondern ganz generell.“
Es war ein Versprechen.
Ein Versprechen, das gebrochen wurde.
Nur acht Monate später.
Dann 1999 wieder.
Dann 2004.
Dann 2009 usw.
Das Ergebnis dieser Entwicklung zeigt sich klar: Wer Friedenssicherheit nicht auf gemeinsame Interessen baut, sondern auf militärische Überlegenheit, erntet Misstrauen, Konfrontation, Eskalation. Die Vision von damals wurde ersetzt durch die Logik des Kalten Krieges – nur in neuer Verpackung.
Darum ist es mir wichtig, immer wieder an die ursprüngliche Idee zu erinnern: Nicht aus Nostalgie, sondern weil es die Vernunft gebietet.
Im Wahlprogramm des BSW Thüringen heißt es:
„Eine Friedensarchitektur für Europa lässt sich dauerhaft nur dann etablieren, wenn die Sicherheitsinteressen aller Seiten respektiert werden.“
Das ist keine Relativierung. Das ist Realitätssinn.
Frieden braucht Diplomatie – auch mit schwierigen Partnern. Frieden braucht das Gespräch – gerade da, wo es schwerfällt. Und Frieden braucht politischen Mut – so wie ihn Kohl und Mitterrand 1984 in Verdun zeigten, als sie sich schweigend die Hände reichten, über den Gräbern zweier Weltkriege hinweg.
Wer heute sagt: „Frieden in Europa ist nur mit Russland möglich“, wird oft belächelt. Oder diffamiert.
Aber wir stehen nicht nicht allein. Wir stehen an der Seite mutiger Frauen und Männer, die an Europa geglaubt haben. Vor 30 Jahren waren das Kohl, Mitterrand und Genscher. Heute sind es Sahra Wagenknecht in Berlin und Katja Wolf hier in Thüringen, um nur zwei zu nennen.
Mir ist es daher wichtig, noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Ausser Europa selbst hat keine andere Region auf der Welt - vor allem nicht die USA - ein Interesse an einer diplomatischen Lösung des Ukrainekrieges.
Europa hat nur sich selbst.
Wir müssen uns daher auf den Geist friedlicher Zusammenarbeit oder zumindest friedlicher Koexistenz besinnen. Im Herbst 1990 haben wir Europäer Russland nicht eingebunden, sondern den Stuhl vor die Tür gestellt. Das Ergebnis sehen wir nun täglich in den Nachrichten.
Das wieder ins Lot zu bringen, wird kräftezehrend und schwer.
Doch
die Alternative dazu kennen wir. Sie fährt wieder durch Thüringen. Auf Gleisen, mit Tarnnetz, Richtung Osten.




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